AUTOR: Maria Ramm 10.02.2023
Grundlegendes zur Psychosexuellen Entwicklung bei Menschen
In Ermangelung wissenschaftlicher Untersuchungen, die diesen Namen verdienen, soll im Folgenden aus eigenem Studium und aus eigenen beruflichen wie privaten Erfahrungen Grundsätzliches zur Psychosexuellen Entwicklung des Menschen dargestellt werden. Da sich diese Entwicklung sowohl seelisch als auch körperlich vollzieht und letztlich zu einem Ich-Sein-Bewußtsein führt, ist der Name PSYCHOSEXUELL gebräuchlich.
Ein wesentlicher Aspekt, der ebenfalls zur Sexualität gehört, von Freud und seinen Nachfolgern aber auch nicht thematisiert wurde, ist das Thema der Scham. Neben dem Wissen von einer besonderen Biologie ist auch das Wissen von der besonderen Funktion der Scham erforderlich. Der Aspekt der Scham wurde von Freud und seinen Nachfolgern nicht berücksichtigt, erschien aber in den letzten Jahren als spezieller Beitrag einiger Autoren (s.u.) und soll nachfolgend in seinen wesentlichen Funktionen beschrieben werden:
Bei der Scham handelt es sich um einen stammesgeschichtlich erworbenen Affekt (seelisches Berührtsein, welches bei allen in Gruppen lebenden Säugetieren zu beobachten ist). Die Anlage zur Schamempfindung ist also über Millionen von Jahren ererbt worden. Beispielhafter Ablauf: Ein Individuum fällt innerhalb der Gruppe unangenehm auf, wenn es Gruppenregeln verletzt und wird danach in irgendeiner Form getadelt oder sogar angegriffen (beschämt). Beim Menschen nennt man diese Gruppenregeln gesellschaftliche Normen. Normen sind ein Produkt der Gesellschaft, d. h. sie können sich mit der Zeit ändern (Wie so etwas durch Propaganda geschieht, kann am sog. „Overton-Fenster“ studiert werden).
Das jeweilige Verhalten eines Individuums, einer Beschämung entgehen zu wollen, ist aber angeboren. Der Affekt, dieser Beschämung entgehen zu wollen, wird Schamangst genannt. Die Schamangst schützt das Individuum davor, angegriffen und ausgegrenzt zu werden. Insofern ist die Schamangst zugleich eine tief in der Psyche verankerte Angst vor Verlust der eigenen Existenz. Die Schamangst hilft also dabei, innerhalb der Gruppe bleiben zu können.
Die Scham hat darüber hinaus eine Wächterfunktion, welche ermöglicht, dass sich bei dem Individuum der sog. „intime Raum“ ausbilden kann. Besonders bei Kindern kann sich dieser Raum nicht ausbilden, wenn sie gezwungen werden, die Normen der Gesellschaft nicht zu befolgen, wenn also ihre eigenen Schamgrenzen aufgebrochen werden.
Sexualität allgemein biologisch betrachtet:
Fast alle sog. höher entwickelten Lebewesen auf unserem Globus praktizieren die Erhaltung ihrer eigenen Art durch den Austausch von Genen einer Mutterzelle (Eizelle) und Vaterzelle (Spermium), genannt sexuelle Vermehrung.
Dieses erfordert ein räumlich nahes Zusammentreffen beider Zellen. Bei landlebenden Wirbeltieren und Säugetieren findet dieses Zusammentreffen beider Zellen im Körper des Muttertiers statt und erfordert dadurch eine bestimmte Nähe. Um diese Nähe zulassen zu können, ist im Verhaltensrepertoire dieser Tiere ein Annäherungsverhalten zum gegengeschlechtlichen Partner vorgesehen. Ein geschlechtsreifes erwachsenes Tier verfügt also über diese Fähigkeit zur Partnerwahl, zum Geschlechtsakt und zum Aufziehen der Nachkommen.
Diese Vorgeschichte ist wichtig, um verstehen zu können, warum gerade bei Wesen mit stark ausgebildeten autonomen Fähigkeiten wie dem Menschen diese Autonomie zeitweilig zugunsten der Aufzucht von Nachwuchs eingeschränkt ist. Die Aufgabe Nachwuchs aufzuziehen erfordert körperliche und seelische Veränderungen, die sexuelle Reifungsprozesse genannt werden. Nach abgeschlossener Reifung besitzt der Mensch ein Bewusstsein über sein Ich-Gefühl sprich seine Identität. In Bezug auf das menschliche Sein als Geschlechtswesen wird es psychosexuelle (körperlich-seelische) Identität genannt. (Diesbezügliche Unsicherheiten innerhalb der Entwicklung werden am Ende dieses Beitrags behandelt).
- Verlauf einer ungestörten psychosexuellen Entwicklung bei Menschen
Da es leider keine zuverlässigen Daten zur „normalen“ psychosexuellen Entwicklung beim Menschen gibt, stützt sich die nachfolgende Beschreibung auf eigene Beobachtungen an Kindern sowie auf ein umfangreiches Studium medizinischer, psychologischer und nicht zuletzt biologisch-anthropologischer Literatur, von welcher bisher kein Werk dieses Thema für sich beanspruchen kann. Auf die Zitierung der Äußerungen von Sigmund Freud und seiner Nachfolger soll hier ausdrücklich verzichtet werden, weil alle keine Beobachtungsstudien an Kindern gemacht und lediglich Meinungen zur sexuellen Entwicklung bei Kindern kundgetan haben. Veröffentlichungen über die kindliche Sexualität ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts (z. B. Kinsey und Nachfolger) sollen ebenfalls nicht herangezogen werden, weil diese nicht ohne experimentelle Folter an Kindern entstanden sind.
Die Begriffe Genitalität und Sexualität sollen zunächst kurz erklärt werden:
Mit Genitalität ist eine körperliche Selbstbezogenheit gemeint, die Lust oder Unlust aus der Beschäftigung mit dem eigenen Körper, hier also der sog. Genitalregion, erzeugt. Mitmachende Personen spielen dabei keine oder nur eine untergeordnete Rolle.
Der Begriff Sexualität hingegen umfasst die eigene körperliche Gesamtausprägung einschließlich des eigenen Geschlechtsempfindens und -bewusstseins (sog. psychosexuelle Identität) sowie die Ausprägung und Verfasstheit anderer, mit denen das jeweilige Individuum in einen persönlichen oder gesellschaftlichen Kontakt tritt. Es geht also um ein gesamtgesellschaftliches Bild einschließlich von Rollenerwartungen und Rollenverhalten bei sich selbst und anderen.
Der neugeborene Säugling lernt in seinen ersten 6 Lebensmonaten zunehmend den Gebrauch seiner Hände als eine Art Werkzeug und ist in der Lage, sich im entkleideten Zustand an allen erreichbaren Körperstellen zu berühren. Er kann dadurch angenehme (Lust erzeugende) und unangenehme (unlusterzeugende) Berührungen unterscheiden. Er ist also als genitales Wesen zu betrachten, auch wenn die Genitalregion kein bevorzugtes Berührungsgebiet sein muss.
Kleinkinder untereinander registrieren ihre körperliche Unterschiedlichkeit. Manchmal inspizieren und berühren sie sich gegenseitig. Bei Gefühlen von Unlust sind sie in der Lage, sich zurückzuziehen und die Exploration durch andere zu verweigern.
Eine gegenseitige Exploration, auch mit mehreren Kindern, haben die Qualität sog. „Doktorspiele“
Kinder im Kindergartenalter besitzen bereits verinnerlichte Rollenmodelle, das heißt zum Beispiel, dass sie in der Lage sind, Eigenschaften von verschiedenen Geschlechtern zu unterscheiden: Biologische Merkmale, Kleidung, gesellschaftliche Funktionen und Rollen. Mutter-Kind-Spiele, Braut und Bräutigam-Spiele sind Ausdruck ihres Rollenbewusstseins.
Auffällig ist dabei, dass beide Spielarten getrennt voneinander praktiziert werden. Selbst wenn sich der Junge im Spiel „Braut und Bräutigam“ auf seine Braut und damit künftige Ehefrau legen sollte (falls diese das toleriert), vielleicht sogar mit den Worten: „Jetzt bin ich Papa!“ wird er sich nicht entkleiden, sondern diese Handlung lediglich als Symbolhandlung vollziehen.
Genitalität und Sexualität nehmen beim Menschen also eine Entwicklung getrennt voneinander bis sie mit Beginn der Pubertät zunächst zusammen gedacht werden und anschließend zu einem Gesamtthema verschmelzen.
Speziell menschliche Besonderheiten
Worin liegt der Unterschied in der psychosexuellen Entwicklung von Menschen und anderen Säugetieren? Männliche jugendliche Säugetiere konnten bei „Kopulationsversuchen“ beobachtet werden. Solange sie noch nicht geschlechtsreif sind, werden sie von erwachsenen Tieren gehindert, dieses Verhalten zu praktizieren. Sobald sie geschlechtsreif sind, werden sie völlig aus der Gruppe vertrieben, oder sie schließen sich einer Gruppe von jugendlichen männlichen Tieren als eine Art Randgruppe an (Schimpansen).
Bei Menschen bleiben auch die männlichen Jugendlichen im Familienverband. Die menschliche Entwicklung zeichnet sich dadurch aus, dass die kognitive und körperliche Entwicklung getrennt verlaufen und sich ihr Körperwachstum verzögert. Während die kognitive und soziale Entwicklung bereits im Kleinkindalter beginnt, ist das Größen- und Kräftewachstum erst mit Beendigung der Pubertät abgeschlossen. Die Frontalhirnreifung ist erst im Alter von 25 Jahren beendet. Die Bedeutung dieser phasenhaften Entwicklung wird anthropologisch als eine für das kulturelle und soziale Lernen notwendige Verzögerung auf dem Weg zur Erlangung der Geschlechtsreife gesehen, ist m. E. vermutlich aber gleichzeitig ein stabilisierender Faktor für das Leben in großfamiliären Hordenverbänden gewesen. Der jeweilige Beitrag zur Erfüllung aller notwendigen lebenserhaltenden Leistungen ist Lerngelegenheit und Leistung zugleich und hält die Funktionfähigkeit einer menschlichen Gemeinschaft von Individuen aufrecht. Menschen lebten ja bereits vor ihrer Erfindung von technischen Hilfsmitteln (Werkzeuge) ohne Klauen, Reißzähne und Fell dafür aber mit aufrechtem Gang, einem großen Frontalhirn sowie der Befähigung zur Nutzung von Sprache und Kooperationsfähigkeit. Bei einer solchen Besonderheit von Merkmalen stellt eine verzögerte Reife zum erwachsenen Individuum bei gleichzeitiger Eignung zur Mithilfe im Familienverband eine wichtige Funktion zur Erhaltung dieser Familienverbände dar.
Eine weitere Besonderheit beim Menschen ist das Versiegen der Reproduktionsfähigkeit bei Frauen im letzten Lebensdrittel (Menopause). Die Bedeutung liegt darin, dass es Großmütter gibt, die zwar keine eigenen Kinder mehr bekommen, sich dafür aber mit ihrem Wissen für den Familienverband einsetzen können. Die aufgeschobene sexuelle Reifung beim Nachwuchs sowie die Unfruchtbarkeit bei älteren Frauen sind Tatsachen und dienen vermutlich demselben Zweck (wie beschrieben).
Jugendliches sexuelles Probierverhalten bei Jungen könnte als Homosexualität aufgefaßt werden. Das gibt es auch bei Mädchen, allerdings mit mehr Heimlichkeit. Mit früher Homosexualität hat dieses Verhalten nichts zu tun, es verweist eher darauf, dass die Schamgrenze dem gleichgeschlechtlichen Jugendlichen gegenüber leichter überwunden werden kann, denn Neugierverhalten ist unter Gleichgeschlechtlichen erleichtert.
Wenn Kinder schon im Kindergartenalter bei Masturbationshandlungen beobachtet werden, ist dies eher ein Ausdruck von Stress statt vom Wunsch nach sexueller Befriedigung. Die behutsame Eingliederung in stressfreie Spielsituationen sind m. E. eher angezeigt statt eine Ausgliederung in sog. „Masturbationsräume“, wie sie in derzeitigen angeblich pädagogischen Konzepten propagiert und teilweise in Kindertagesstätten umgesetzt werden.
- Störungen
Die durch Stimulation des Genitales an menschlichen Säuglingen unter Folterbedingungen mehrfach erbrachte Beweise von Orgasmus Fähigkeit ergeben keinen Grund, bereits Säuglinge und Kleinkinder sexuellen Praktiken zuzuführen. Dies gilt auch für ältere Kinder bis zu deren Pubertät und der Erlangung ihrer entsprechenden Fähigkeit, selbst über ihren Körper und ihre Sexualität bestimmen zu können.
Die Gründe für eine Ausklammerung sexueller Inhalte im unmittelbaren Kontakt mit Kindern sind durch deren vorgegebenes, d. h. stammesgeschichtlich erworbenes Entwicklungsprogramm eigentlich ausreichend erläutert. Für weitere Begründungen erfolgt an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung über die Ausprägung von Schäden bei solchen Individuen, bei denen Grenzen überschritten wurden:
Im günstigen Fall kommt es bei Menschen, bei denen die Schamgrenzen in Kindheit und Jugend überschritten wurden, zu einer Unsicherheit bezüglich der eigenen Person, der Identität und der gesellschaftlichen Rolle. Im weniger günstigen Fall kommt es zur Abkoppelung von anderen Bezugspersonen und zur gesellschaftlichen Isolation mit den Folgen von Instabilität in sozialen Beziehungen, vor allem aber in Partnerbeziehungen. Da die gemachten sexuellen Erfahrungen nicht im Rahmen einer angemessenen schützenden Beziehung gemacht wurden, bleiben Sexualität und Partnerschaft auch im Erwachsenenalter unverbunden. Allein die Abkoppelung von Sexualität und Partnerschaft stellen große Hindernisse bei der Erlangung eines zufriedenen und erfüllten Erwachsenenlebens dar. Sexuelles Suchtverhalten ist dabei nur ein Merkmal. Dieses ist allerdings nach außen sichtbar.
In dem Fall, in welchem beim Kind oder Jugendlichen körperliche oder psychische Gewalt (Erpressung, Bloßstellung, Verleumdung u. ä.) angewendet werden, kann das nicht jedes Individuum verkraften. Bedrohungsgefühle und Schamangst können so stark sein, dass die seelischen Kräfte des gesamten Psychoorganimus überfordert werden. Dann entstehen häufig unbewusste Abkoppelungvorgänge (Dissoziationen), die bestimmte Erinnerungen abspalten und damit zunächst Entlastung schaffen. Auf Dauer wirken sich derartige Störungen des bewussten Erlebens im beruflichen und privaten Alltag wiederum außerordentlich nachteilig aus, so dass dieses Individuum letztlich kein autonomes Erwachsenenleben führen kann. Vereinzelt wurden Paare bekannt, deren Paargemeinschaft durch verständnisvolle Führung des gesunden Partners erhalten bleiben konnte.
Bewertung des aktuellen Trends zur Sexuellen Früherziehung
Aus den gemachten Ausführungen ergibt sich weder eine Rechtfertigung und vor allem keinerlei Begründung für eine sexuelle Früherziehung ab dem Kindergartenalter. Auf jeden Fall besteht keinerlei Notwendigkeit, die sog. Sexuelle Früherziehung zu propagieren oder zu praktizieren.
Jedes Kind, das Tendenzen für eine von der gesellschaftlichen Norm abweichende sexuelle Orientierung in sich spürt, ist unter dem Schutz seiner eigenen Schamgrenze in der Lage, eventuelle Abweichungen zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt zu äußern. Die Aufweichung seiner eigenen Schamgrenze durch andere erwachsene Personen hilft ihm dabei nicht, seine Autonomie zu erhalten, im Gegenteil!
Jedes Kind, welches unter der Beachtung seiner Schamgrenze aufwächst, verfügt über einen ungestörten Zugang zu seinem eigenen Körper und kann sich dieses Zugangs innerhalb seines eigenen Intimraums versichern. Es benötigt dabei keine Hilfe von Erwachsenen, es sei denn, dass es Erwachsene dazu befragen möchte. Auch dies kann ein Kind frei entscheiden.
Zu einer Verringerung des Risikos von sexuellem Missbrauch trägt die sog. Sexuelle Früherziehung ebenfalls nicht bei. Im Gegenteil! Die allgemeine Senkung der Schamgrenze, die damit verknüpft wird, stellt eher ein Risiko für das Erleiden von sexuellem Missbrauch dar, aber auch die Hinzuziehung wildfremder Personen bei gleichzeitiger Preisgabe intimster Körperregionen führen zu einer Art von „Scheinnormalität“, die dem Kind nicht helfen kann, weil sie ohne Schutzfunktion bleibt.
Noch etwas: Wenn gesellschaftliche Normen sich mit der Zeit ändern, werden diese Veränderungen auch Kindern nicht verborgen bleiben. Kinder übernehmen dann die von Erwachsenen praktizierten Normen. Normänderungen über Kinder in die Gesellschaft hineinzubringen ist ganz klar unzulässig.
Literatur zur Scham:
Udo Baer, Gabriele Frick-Baer: Vom Schämen und Beschämt werden, 2008,
Jens Tiedemann: Die Scham, das Selbst und der Andere 2010
Daniel Hell: Lob der Scham, 2018